Wenn ihr für euer Impact-Startup eine nachhaltige Lösung für ein gesellschaftliches Problem entwickelt, stehen am Anfang oft viele Fragen: Wer ist eigentlich von dem Problem betroffen? Welche Ursachen und Auswirkungen liegen zugrunde – und wie könnt wir diese effektiv bekämpfen?
Um gezielt Wirkung zu entfalten, ist es entscheidend, das Problem, die Zielgruppe und relevante Stakeholder genau zu verstehen. Selbstverständlich bringt jede Gründung ihre eigenen Herausforderungen und Besonderheiten mit sich. Dieses Kapitel bietet daher eine Orientierung, die individuell angepasst werden kann.
Hier bist du richtig, wenn …
- du ein Impact-Startup gründen möchtest oder mit deinem Team schon mittendrin steckst.
- ihr wisst, welches Problem ihr lösen wollt, aber eure Zielgruppe noch nicht oder noch nicht gut genug kennt.

Ihr seid noch nicht so weit?
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Dieses Kapitel hilft dabei, …
- das gesellschaftliche Problem zu benennen und seine Ursachen zu verstehen.
- die Auswirkungen des Problems zu identifizieren.
- eure Zielgruppe und Stakeholder zu definieren.
Das Kernproblem benennen
Im ersten Schritt benennt ihr präzise das Problem, das ihr lösen möchtet, damit ihr eine fundierte Analyse der Ursachen und Auswirkungen durchführen könnt. Das Problem sollte so formuliert sein, dass es die negative Situation aus Sicht der Zielgruppe beschreibt. Versucht, so spezifisch wie möglich zu sein – je nachdem, was euer jetziger Wissensstand zulässt.
Ein gesellschaftliches Problem kann verschiedene Ebenen haben – sozial, ökologisch, wirtschaftlich.
- Soziale Dimension: Diese bezieht sich auf zwischenmenschliche Interaktionen und gesellschaftliche Strukturen. Dazu gehören Aspekte wie soziale Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheit oder soziale Netzwerke.
- Ökologische Dimension: Diese betrifft Umwelt- und Klimafragen. Herausforderungen in diesem Bereich umfassen den Klimawandel, Verlust der Biodiversität, Bodendegradation oder Wassermangel.
- Wirtschaftliche Dimension: Diese bezieht sich auf ökonomische Aspekte wie Einkommen, Vermögen oder wirtschaftliche Entwicklung.
Beispiel:
„Viele Menschen in ländlichen Regionen Libanons haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.“
Die Ursachen des Problems identifizieren
Um das zentrale Problem tiefgründig zu verstehen, könnt ihr seine Ursachen in vier Schritten analysieren. Beginnt mit der Frage: Warum existiert dieses Problem?
1. Identifiziert Hauptursachenkategorien
Gliedert das Problem in Hauptursachen, die ihr den folgenden Kategorien zuordnen könnt:
- Gesellschaftliche Trends (demografischer Wandel, Urbanisierung, Digitalisierung, Regeln, z. B. Gesetze, Verordnungen, Standards…)
- Anwendung von Technik (fossile oder erneuerbare Energien, E‑Learning-Plattformen, Telemedizin)
- Wirtschaftliche Bedingungen (Arbeitslosigkeit, Einkommensverteilung, Inflation)
- Kulturelles Verständnis (Traditionen und Bräuche, Werte und Normen)
- Umweltbedingungen (Klimawandel, Ressourcenverfügbarkeit, Naturkatastrophen)
- Institutionen (Bildungseinrichtungen, Gesundheitsorganisationen, Vereine, lokale Initiativen)
- Politische Bedingungen (Stabilität der Regierung, internationale Beziehungen mit Handelsabkommen und Sanktionen)
- Individuelle Bedürfnisse von Personengruppen (Bildungsbedarf, Gesundheitsversorgung, Wohnraumversorgung)
- Vorhandener Wissensstand in der Bevölkerung (Bildungsniveau, Bewusstseinsbildung, technologische Kompetenz)
2. Ergründet die Ursachen mit der 5‑Whys-Technik

Um tiefer in das Problem einzutauchen, könnt ihr euch bei jeder identifizierten Ursache fragen: „Warum tritt dies auf?“ und diesen Schritt fünfmal wiederholen. So könnt ihr die zugrunde liegenden Ursachen ermitteln. Diese Ursachen bilden die Wurzeln des Problems und helfen euch, es in seiner Gesamtheit zu verstehen.
Beispiel:
Wenn das Kernproblem „Viele Menschen in ländlichen Regionen Libanons haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser“ ist, könnte eine 5‑Whys-Analyse folgendermaßen aussehen:
- Wieso haben sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser? – Weil es keine Wasseraufbereitungsanlagen gibt.
- Wieso gibt es keine Wasseraufbereitungsanlagen? – Weil es an finanziellen Mitteln fehlt.
- Wieso fehlen finanzielle Mittel? – Weil die lokalen Behörden keine ausreichenden Budgets dafür bereitstellen.
- Wieso stellen die lokalen Behörden keine ausreichenden Budgets bereit? – Weil das Problem keine hohe Priorität hat.
- Wieso hat das Problem keine hohe Priorität? – Weil das Bewusstsein für die gesundheitlichen Folgen fehlenden Zugangs zu sauberem Trinkwasser gering ist.
3. Bezieht aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in eure Analyse ein
Nutzt dafür Datenbanken wie Google Scholar, JSTOR oder PubMed, um relevante Studien und Forschungsergebnisse zu finden. Oft helfen auch öffentliche Reports (UNDP, Bundesregierung etc.), Statistiken, Dokumentarfilme, journalistische Reportagen, Zeitungsartikel und Veröffentlichungen von Verbänden. Diese solltet ihr allerdings auf Richtigkeit überprüfen.
Auch die Teilnahme an Netzwerktreffen, Branchenevents, Konferenzen oder Messen kann euch bei der Analyse weiterhelfen. Dieser datenbasierte Ansatz liefert objektive Einblicke in die Ursachen des Problems und bestärkt oder widerlegt eure Annahmen.
Die Auswirkungen des Problems analysieren
Nachdem ihr die Ursachen analysiert habt, solltet ihr die Auswirkungen des Problems identifizieren. Welche Konsequenzen hat es für die Betroffenen und deren Umgebung?
1. Ergründet die Auswirkungen mit der 5‑Whys-Technik
Verwendet die gleiche Methode wie vorher und fragt bei jeder Auswirkung: „Welche Folgen hat das?“ und wiederholt diesen Schritt, um systemische Effekte auf ökologischer, politischer, sozialer, ökonomischer, kultureller, spiritueller Ebene usw. zu erkennen.
2. Bezieht aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in eure Analyse ein
Auch bei der Analyse der Auswirkungen solltet ihr aktuelle Forschungsergebnisse hinzuziehen, um fundierte Erkenntnisse über die langfristigen Effekte des Problems zu erhalten. Wie ihr dabei vorgehen könnt, steht weiter oben bei Die Ursachen des Problems identifizieren.
3. Visualisiert euer Problem in einem Problembaum
Den Problembaum könnt ihr später auch für Kommunikationszwecke nutzen. Er stellt die Ursachen und Auswirkungen des Problems grafisch dar. So erstellt ihr einen Problembaum:
- Zeichnet ein Kästchen in die Mitte des Diagramms und schreibt das Kernproblem hinein.
- Die direkten Ursachen des Kernproblems werden in der Zeile unterhalb des Kernproblems festgehalten, darunter die Ursachen der Ursachen angeheftet.
- Oberhalb des Kernproblems finden die unmittelbaren Auswirkungen Platz, die Auswirkungen der Auswirkungen werden in der Reihe darüber eingetragen. Und so weiter.
- Der Problembaum verzweigt sich nach oben und unten.
- Sofern Zusammenhänge zwischen den Ursachen bzw. Auswirkungen existieren, werden diese mittels Querverbindungen abgebildet. Lücken werden mittels Platzhalter gekennzeichnet, die du gegebenenfalls später füllst.

Nutzt eine einfache Zeichensoftware oder Stift und Papier, um den Problembaum visuell darzustellen. Im Kursbuch Wirkung von PHINEO findet ihr auch diese grafische Vorlage:
Den systemischen Kontext berücksichtigen
Um das Problem ganzheitlich zu verstehen, solltet ihr es in einen größeren systemischen Kontext einordnen. So könnt ihr gezielt Maßnahmen entwickeln, die die Ursachen auf der richtigen Ebene ansprechen.
1. Nutzt die Social Change Matrix für eine systemische Einordnung eures Problems
Die Social Change Matrix unterteilt das Problem in vier Quadranten:
- Quadrant 1: Materiell und strukturell – Probleme, die große Gruppen betreffen und strukturelle Änderungen erfordern, z. B. in Gesetzen oder Institutionen
- Quadrant 2: Materiell und individuell – Konsequenzen struktureller Probleme, die einzelne Personen oder kleine Gruppen betreffen, z. B. mangelnde Bildung oder Armut
- Quadrant 3: Symbolisch und strukturell – Probleme, die gesellschaftliche Wahrnehmungen oder Überzeugungen betreffen und z.B. Änderungen im öffentlichen Diskurs erfordern
- Quadrant 4: Symbolisch und individuell – Probleme, die persönliche Wahrnehmungen oder Einstellungen betreffen, z. B. geringes Selbstwertgefühl

Überlegt, in welchem Quadranten sich das Problem wie ausdrückt oder manifestiert, ob alle Quadranten mit einbezogen werden müssen und wo welche Ursachen und Folgen adressiert werden könnt. Materielle Veränderungen sind messbar und greifbar, symbolische Veränderungen hingegen betreffen kulturelle und soziale Einstellungen.
Strukturelle Veränderungen wirken auf gesellschaftlicher Ebene, während individuelle Veränderungen das Verhalten und die Einstellung einzelner Personen beeinflussen.
Manchmal bewirken aber auch Veränderungen auf materiell oder symbolisch individueller Ebene die Ebene der Systeme – also nicht nur top-down sondern auch bottom-up. Ein Wertewandel (symbolisch) kann langfristig oder auch radikal die materiellen Quadranten verändern.
Beispiel:
Angenommen, das zentrale Problem sei „geringes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung“. Dieses Problem könnte in Quadrant 3 (symbolisch und strukturell) eingeordnet werden, da es die gesellschaftliche Wahrnehmung betrifft und Änderungen im öffentlichen Diskurs erfordert.
Maßnahmen könnten Bildungskampagnen oder politische Initiativen sein, um das Umweltbewusstsein zu stärken (symbolisch) und individuelle Verhaltensweisen zu verändern (materiell).
Zielgruppen und Stakeholder definieren
Auf Grundlage eurer Problemanalyse könnt ihr jetzt eure Zielgruppen und Stakeholder klar benennen. Überlegt, wer direkt für die Ursachen des Problems verantwortlich und wer von den Auswirkungen betroffen ist. Dies können eure potenziellen Zielgruppen und Stakeholder sein.
1. Wer sind eure Zielgruppen?
Zielgruppen sind die Personen, Organisationen oder Systeme, bei denen ihr eine Wirkung erzielen möchtet. Diejenigen, bei denen ihr konkrete Veränderungen bewirken wollt, sind eure direkte Zielgruppe. Falls nötig, könnt ihr hier noch Untergruppen bilden, um eure Lösung präziser anzupassen.
2. Wer sind eure Stakeholder?
Stakeholder sind alle Personen oder Gruppen, die ein Interesse an eurer Lösung haben oder sie beeinflussen können. Wichtig: Alle Zielgruppen sind automatisch Stakeholder – aber nicht jeder Stakeholder gehört zu eurer Zielgruppe.
Mit einer Stakeholderanalyse könnt ihr herausfinden:
- Wer sind die relevanten internen und externen Stakeholder?
- Welche Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen haben sie?
- Wie können sie eure Lösung positiv oder negativ beeinflussen?
Beispiele für Stakeholder:
- Interne Stakeholder: eure Zielgruppe, Mitarbeitende, Geschäftsleitung.
- Externe Stakeholder: Investor*innen, Behörden, NGOs, Partnerorganisationen, Bürgerinitiativen oder Unternehmen.
Zielgruppe vs. Kund*innen
In der Lean Impact Journey differenzieren wir zwischen der Zielgruppe, wenn wir uns mit dem Wirkungsmodell und dem Produkt beschäftigen und Kund*innen, wenn es um das Geschäftsmodell geht.
Wie ihr diese beiden Begriffe für euer Projekt nutzt, hängt davon ab, worin eure Lösung besteht. Als Zielgruppe werden in diesem Playbook einerseits Personen bezeichnet, die die Lösung nutzen und andererseits jene, die von der Lösung profitieren.
Abhängig von der Lösung kann die Zielgruppe beides in sich vereinen.
Nächstes Kapitel: Erkenntnisse validieren
Der erste Schritt ist gemacht! Ihr kennt nun die Ursachen und Auswirkungen des gesellschaftlichen Problems und eure potenzielle Zielgruppe. Außerdem habt ihr weitere Stakeholder identifiziert.
Im nächsten Kapitel könnt ihr eure Erkenntnisse über euer identifiziertes Problem und eure Zielgruppen und Stakeholder im direkten Gespräch validieren.